Nikon F - Lebendige Legende
Im Jahr 1959 stellte die Nippon Kokagu K. K. (in etwa „Japanische optische Gesellschaft) ihre erste Spiegelreflexkamera, die Nikon F vor. Davor gab es unter dem Markennamen Nikon, gebildet aus „Nippon Kokagu“, ausschließlich Messsucherkameras, die vor allem in den USA recht erfolgreich waren, in Europa aber weitgehend unbekannt blieben. Mit der F wurde der Name Nikon weltbekannt und auch im Leica-Land Deutschland etablierte sich die japanische Spiegelreflexkamera als erste Wahl für den Pressefotografen. Völlig zu Recht, denn mit ihrer sprichwörtlichen Robustheit und Zuverlässigkeit sowie dem konkurrenzlos umfangreichen System konnte die Nikon F die meisten Profis und selbstverständlich auch viele anspruchsvolle Amateure überzeugen. Nikon-Experte Peter Braczko zitiert in seinem bedauerlicherweise schon lange vergriffenen Buch „Nikon Faszination“ den früheren Color Foto-Redakteur Alf Cremers: „Nikon nahm den Profis die Leica M aus der Hand und beglückte sie mit der F, ein Buchstabe, der die Professionellen in aller Welt bis heute begleitet.“ Dieses Zitat aus der glorreichen Analog-Zeit passt im Falle Nikons auch ins Digital-Zeitalter, denn auch die aktuellen Nikon-DSLRs haben noch immer das mit der F eingeführte F-Bajonett. Deswegen ist es grundsätzlich möglich, alte Nikon-Objektive aus der Analogzeit an einer modernen Digital-Nikon zu verwenden. Ich selbst schwöre für Produkt-Photos nach wie vor auf das Micro-Nikkor 55 mm 1:2.8 AiS, das auch am überkritischen D800-Sensor überzeugen kann. Doch der zweite Digital-Frühling der teilweise grandiosen Nikkore sind ein anderes Thema, dem ich beizeiten einen Blog-Beitrag widmen werde. Heute soll es um die Nikon F, genau gesagt um meine eigene F Photomic TN, die im Jahr 1968 gebaut wurde, gehen.
Die Nikon F wurde von 1959 bis 1973, also über einen vergleichsweise langen Zeitraum, produziert, wobei die Kamera ständig verbessert wurde. Diese Verbesserungen betrafen Kleinigkeiten wie beispielsweise eine Stahleinlage in den Trageriemenösen, vor allem aber Weiterentwicklungen bei den Suchern. Die F ist eine Systemkamera, die nicht nur Wechselobjektive hat, sondern auch den Austausch des Suchers und der Einstellscheiben gestattet. Das erhöhte die Einsatzmöglichkeiten der Kamera beträchtlich , weswegen die Wechselsucher- und Einstellscheiben – in den letzten Produktionsjahren bot Nikon sage und schreibe 12 Einstellscheiben an – den professionellen Anspruch der Kamera zusätzlich unterstrichen. Sucher gab es hingegen nur fünf Modelle: Den einfachen Prismensucher, genannt „Eye Level-Finder“, den Lichtschachtsucher, den Lupensucher, den Sportsucher sowie den bekanntesten Sucher-Typ, den Photomic-Sucher, einen Prismensucher mit eingebautem Belichtungsmesser. Die meisten Fs, die heute auf dem Gebrauchtmarkt angeboten werden, sind mit diesem klobigen Sucher ausgestattet. Dadurch wirkt die Kamera wenig elegant und ist, wie ich aus eigener Erfahrung nur zu gut weiß, recht auffällig. Wobei eine „alte Analog-Kamera“ per se auffällt heutzutage – ganz gleich, ob es sich um eine Leica M, eine Praktica oder eine Nikon F handelt.
Der Photomic – das Wort soll schlicht für „Belichtungsmesser“ stehen – erlebte mehrere Inkarnationen: Das erste Modell von 1962 erlaubte noch keine Innen-/T(hrough)T(he)L(ens)-Messung und wurde 1965 durch den Photomic T ersetzt. Der bot jetzt die Innenmessung, allerdings handelt es sich um eine reine Integral- oder Ganzmattscheiben-Messung, die eine gewisse Erfahrung erfordert, um beispielsweise Motive mit hohen Kontrasten korrekt zu belichten. Das Nachfolgemodell, der Photomic TN, wurde zwei Jahre später, 1967, vorgestellt und zeigte sich gegenüber dem Vorgänger deutlich verbessert: Nikon benutzte erstmals eine konzentrierte Belichtungsmessung. Auf den Mittelpunkt mit einem Durchmesser von 12 Millimetern wurden 60 Prozent der Empfindlichkeit gelegt, 40 Prozent verblieben dem Umfeld. Diese „stark mittenbetonte Integralmessung“ wurde zum Nikon-Markenzeichen und fand sich noch in der FM3a von 2001. Der letzte F Photomic bekam den Namenszusatz FTN, hatte selbstverständlich die beschriebene Messcharakteristik , bekam eine neue und sichere Verriegelung und verfügte zudem über eine automatische Lichtstärkeneingabe durch Rechts-Links-Drehung des Objektiv-Blendenrings, die den Objektivwechsel deutlich beschleunigte.
Meine F ist mit dem Photomic TN ausgestattet und ich kann sehr gut nachvollziehen, wie erleichtert die Nikon-Fotografen aufgeatmet haben mussten, als der Photomic FTN 1968 eingeführt wurde: Beim Modell TN muss nämlich unbedingt die ASA-Zahl des eingelegten Films mit der Lichtstärken-Gravur am Rand des Einstellrades zur Deckung gebracht werden. Unterbleibt dies, sind Fehlbelichtungen programmiert. Diese Prozedur ist zudem reichlich fummelig, außerdem sind die winzigen Gravuren schlecht ablesbar, was den Objektivwechsel bei spärlichem Licht erschwert. Ich selbst wechsle die Objektive generell weniger und entscheide mich stattdessen vor dem Photographieren für ein bestimmtes Objektiv. Damit bleiben mir unliebsame Überraschungen erspart. Allerdings gibt es noch einen weiteren Unsicherheitsfaktor bei meinem Photomic TN: Das Messwerk des Photomic muss mit dem Objektiv, genauer mit dem Blendenring gekoppelt sein. Dafür gibt es einen Metallstift, der in die Blendenmitnehmer-Gabel, die berühmten Nikon-“Hasenohren“ greift. Laut Bedienungsanleitung erfolgt diese Kopplung beim Ansetzen des Objektivs, wenn dessen Blendenring auf 5.6 steht, „automatisch“. Nun, bei meiner F funktioniert das nicht. Es ist erforderlich, mittels sanften Fingernachdrucks und einigen Hin- und Herdrehens des Blendenrings die feste Verbindung herzustellen. Glücklicherweise ist es spürbar, wenn das Objektiv korrekt mit dem Photomic verbunden ist: Beim Verstellen der Blende ist ein gewisser Widerstand zu überwinden. Geht es also zu leicht, spricht viel dafür, dass keine Kopplung gegeben ist.
Da die Nikon F und ihre verschiedenen Photomics aus einer anderen Zeit stammen, ergibt sich ein anderes Problem für den praktischen Einsatz: Während die Kamera als rein mechanischer Apparat keinen Batterie-Strom benötigt, ist der Photomic darauf angewiesen. Früher kamen zwei Quecksilberoxidbatterien vom Typ PX625 mit der Nennspannung von 1, 35 Volt, auf die der Belichtungsmesser kalibriert ist, zum Einsatz. Diese Batterien sind löblicherweise seit 2008 aus Umweltschutzgründen verboten.
Was tun? Zunächst besteht die Möglichkeit, die vergleichsweise teueren Wein Cell MRB625 zu verwenden. Die haben allerdings den Nachteil, vergleichsweise schnell ausgesaugt zu sein und eine recht kurze Lebensdauer von sechs bis zwölf Monaten zu haben. Bei einem Stückpreis von rund 10 Euro kann das zum teuren Missvergnügen werden – immerhin sind Filme heutzutage auch nicht mehr eben kostengünstig zu bekommen.Als Alternative empfehlen manche F-Nutzer Hörgeräte-Batterien, weil die leichter und auch etwas günstiger zu bekommen sind. Sehr viel wirtschaftlicher wird der Analog-Spaß damit aber auch nicht, denn diese Batterien sind noch kurzlebiger.
Eine zweite Option stellen Batterie-Adapter für gängige Silberoxid-Batterien dar. Am Bekanntesten ist der Adapter von Criscam aus den USA, der jedoch nicht in Deutschland vertrieben wird, mithin nur online bestellt werden kann. Das ist nicht jedermanns, vor allem auch nicht meine Sache. Der Belichtungsmesser-Spezialist Gossen bietet ebenfalls einen Adapter an, der wohl nicht richtig ins Batteriefach des Photomic FTN passen soll. Ausprobiert habe ich es selbst nicht.
Denn ich habe das große Glück, dass der Photomic TN meiner F bestens mit handelsüblichen Alkalizellen des Typs LR625A funktioniert. Diese haben eigentlich eine zu hohe Nennspannung von 1,5 Volt, was zu Fehlmessungen führen kann – nicht muss wohlgemerkt. Meine Vergleichsmessungen mit dem Gossen DIGISIX 2 ergaben praktisch deckungsgleiche Messergebnisse, sodass ich mich auf den Photomic TN verlassen kann.
Da meine F trotz ihres hohen Alters noch immer in Topform ist, wäre es viel zu schade, dieses Präzisionswerkzeug in die Vitrine zu stellen. Selbstverständlich photographiere auch ich hauptsächlich digital, aber es macht einen Riesenspaß, bisweilen einen Film durch die alte Dame zu ziehen. Schwer liegt sie in den Händen und vermittelt das Gefühl, dass dieses feinmechanische Meisterstück für die Ewigkeit gebaut ist. Dass die Bildqualität dank der hervorragenden Nikkor-Objektive ausgezeichnet ist, sei nur am Rande bemerkt.
Sollten Sie sich selbst für eine F – oder die Nachfolgerin F2 – interessieren, empfiehlt sich meines Erachtens der Kauf im kompetenten Fachhandel mit angeschlossener Werkstatt. Auch eine Nikon F kann nach gewissen Wartungsarbeiten durch den Feinmechaniker, beispielsweise eine Justage des Verschlusses, verlangen. Bevorzugen Sie den Online-Kauf möchte ich Ihnen die Seite „Nikonclassics“ (www.nikonclassics-michalke.de) des Berliner Fotografen und Nikon-Fachmanns Norbert Michalke empfehlen. In seinem Shop finden sich regelmäßig zu fairen Preisen Nikon Kamera- und Objektiv-Legenden für Praktiker, die damit arbeiten, sprich photographieren möchten. Richtig: Mein schöne Nikon F Photomic TN habe ich ebenfalls dort erstanden.