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Aktuelles

Treue Weggefährtin: Praktica BC 1 (Teil 1)

Im Jahr 1979 gelang es dem VEB Pentacon Dresden, seinerzeit einer der bedeutendsten industriellen Großbetriebe der DDR, mit der Praktica B-Reihe Kleinbildkameras in Kompaktbauweise herzustellen. Die Praktica BC 1 war das zweite Modell dieses Systems und auch in der Bundesrepublik Deutschland geschätzt.


Vorab: Literaturhinweise


Die wechselhafte und spannende Geschichte der Dresdner Kameraindustrie ist lang – zu lang, um an dieser Stelle ausgebreitet zu werden. Inzwischen gibt es sehr gute Bücher kompetenter Autoren, die sich detailgenau mit diesem gewichtigen Kapitel deutscher, nach der Teilung Deutschlands und der Gründung der DDR im Jahre 1949 dann deutsch-deutscher Industriegeschichte befasst haben. Das Werk „Geschichte der Dresdner Fotoindustrie“ von Herbert Blumritt (2001, Lindemanns Verlag, ISBN 3-89506-212-X) befasst sich sehr ausführlich mit den Gründerjahren und den verschiedenen Betrieben, außerdem portraitiert er bedeutende Einzelpersonen. Es geht dem Autor aber weniger um die Produkte selbst, außerdem ist das Kapitel über den VEB Pentacon Dresden etwas knapp geraten. Dafür ist der Abschnitt über das Ende Pentacons – der Betrieb wurde 1990 von der Treuhandanstalt liquidiert – besonders lesenswert, denn Herbert Blumritt war selbst über 30 Jahre lang bei Pentacon als leitender Entwicklungsingenieur tätig und liefert deswegen Informationen erster Hand aus der Innensicht. Ungleich umfangreicher und konkurrenzlos in der Darstellung produktionstechnischer Einzelheiten ist das großformatige Buch „Der VEB Pentacon Dresden“ von Gerhard Jehmlich (2009, Sandstein Verlag, ISBN 978-3-940319-75-3). Dieses Buch überzeugt auch wegen der zahlreichen Abbildungen – darunter sogar Nachdrucke händischer Konstruktionszeichnungen – , enthält außerdem zahlreiche Übersichtstabellen und Fakten, Fakten, Fakten...Dafür kommt die Vorgeschichte bewusst zu kurz – Gerhard Jehmlich befasst sich mit der Entwicklung ab 1945 -, da ist das Buch von Herbert Blumritt informativer. Empfehlenswert für alle an den Fotoprodukten der DDR Interessierte sind darüber hinaus die - selbstverständlich nur antiquarisch zu bekommenden – Foto-Bücher aus dem VEB Fotokinoverlag Leipzig. Zu nennen wäre zunächst das „Fotobuch für alle“ von Werner Wurst, einem der fleißigsten Fotobuchautoren der DDR. Die jüngste Auflage stammt aus dem Wendejahr 1989 und bietet eine gute Übersicht der seinerzeit auf dem DDR-Markt erhältlichen Kameras. Neben den Dresdner Fotoapparaten sind auch solche aus der Sowjetunion erwähnt, der Schwerpunkt liegt aber auf den DDR-Produkten. Das Buch „Fotografie mit der Praktica“ von Roger Rössing ist anspruchsvoller als das „Fotobuch für alle“, das für Einsteiger gedacht ist, und beschränkt sich gemäß Titel mit den verschiedenen Praktica-Modellen und ihrem Zubehör. Das Buch von Roger Rössing erfuhr auch zahlreiche erweiterte Neuauflagen, allerdings befasste er,der als einer der bedeutendsten Fotografen der DDR gilt, sich nie mit den Kameras der B-Reihe. Sein Praktica-Buch ist gleichwohl sehr empfehlenswert, da es ein sehr gutes Lehrbuch der Aufnahme- und Dunkelkammerpraxis mit hervorragenden Photos ist und technische Einzelheiten präzise, aber niemals dröge darstellt. Werner Wurst, der auch ein erfahrener Werbefachmann war, verfasste außerdem das vorzügliche kleine Bändchen „Kleiner Ratgeber Praktica BC 1 / B 100“, das der VEB Pentacon Dresden für den Importmarkt produzierte. Im Unterschied zum „Fotobuch für alle“ ist der Text wohl deswegen nur geringfügig von der sozialistischen Weltanschauung durchsetzt, außerdem erwähnt der Autor Zubehör, das es in der DDR nicht gab. Aber dazu später mehr. Dieses Büchlein wurde den sogenannten Praktica B-Sets – komplette Fotoausrüstungen mit Kameragehäuse und drei Wechselobjektiven in einer stabilen Fototasche -, die der westdeutsche Pentacon-Vertrieb Beroflex in Berlin an den Fotohandel lieferte, beigelegt. Damit hatten die Erwerber eines solchen Sets sowohl ein gut geschriebenes, praxisorientiertes Fotolehrbuch, als auch eine Übersicht über das komplette B-System. Das B-Büchlein ist immer mal wieder in Antiquariaten zu finden, allerdings lassen es sich die Anbieter gerne teuer bezahlen: 10 € halte ich persönlich für das Bändchen in einfacher Klebeheftung jedenfalls für überhöht. Das wäre aber der angemessene Preis für die genannten Foto-Bücher, beides mal Hard Cover in Leinen. Wegen des nicht allzu hochwertigen Papiers sind die Seiten meistens sehr vergilbt – zumindest mein „Fotobuch für alle“, damals, 1989, in Ost-Berlin erstanden, lässt Papierweiß nicht mal mehr erahnen. Mein wesentlich älteres „Fotografie mit der Praktica“ stammt von 1975 und sieht sehr viel besser aus. Inhaltlich bleiben beide Bücher selbstverständlich überzeugend.


Die Entwicklung des Praktica B-Systems


Wie einleitend erwähnt, war 1979 das Geburtsjahr des Praktica B-Systems. In diesem Jahr wurde das erste Modell, die Praktica B 200, auf der Leipziger Frühjahrsmesse vorgestellt. Es handelte sich um die erste Praktica, die anstatt des antiquierten M 42x1 Schraubgewindes ein Bajonett zum Anschluss der Wechselobjektive hatte. Die Entwicklung eines proprietären Bajonetts war aus der Not geboren: Es gab ernsthafte Überlegungen, das K-Bajonett von Asahi/Pentax zu übernehmen. Tatsächlich gab es Verhandlungen mit den Japanern, aber letztlich gaben fehlende Lizenz-Devisen den Ausschlag, von der Übernahme des K-Bajonetts abzusehen. Vermutlich wären die Prakticas mit K-Bajonett ein echter Schlager in den Exportländern geworden, denn die Option, die Topobjektive von Pentax verwenden zu können, hätte die Kompaktspiegelreflex aus der DDR sicherlich zusätzlich attraktiv gemacht. Auch aus heutiger Sicht ist es zu bedauern, dass der durchaus verbreitete K-Anschluss nicht zur Praktica fand: So wäre das Adaptieren der Prakticare - so sind die B-Objektive benannt – an spiegellosen Systemkameras oder DSLRs wegen des sehr guten Angebots an Adaptern einfach möglich. Es gibt derzeit zwar einen chinesischen Adapter Praktica B/Micro Four Thirds, der aber ausweislich meiner Erfahrungen von sehr mäßiger Qualität ist: Abgesehen von seiner ungenügenden, nicht der benötigten Schnittweite entsprechenden Länge – ein Fokussieren auf Unendlich ist unmöglich – wird das Objektiv an dem Billigring regelrecht festgeklemmt, sodass es nur mit erheblichem Kraftaufwand abzulösen ist. Vergessen Sie also, wenn Ihnen Ihre Prakticare lieb und teuer sind, diese No Name-Adapter sofort wieder. Stattdessen könnten Sie mit Ihrer Praktica einen Film belichten. Denn, soviel sei schon mal verraten, das lohnt sich wirklich.

Doch zurück zur B 200 und ihrer Technik. Die Kamera besaß als erste DDR-Kamera überhaupt ein modernes Elektroniksystem auf flexibler Leiterplatte mit TTL-Belichtungsmessung und elektrischer Blendenwert-Übertragung. Im Klartext heißt das: Mit der B200 und den nachfolgenden B-Modellen war ein Belichtungsmessung bei Offenblende und das Photographieren in Zeitautomatik möglich. Im Unterschied zu den Konkurrenten – beispielsweise Nikon (siehe hierzu die Blog-Beiträge zur Nikon F und zum Micro-Nikkor-P Auto 3.5/55mm) – setzten die Pentacon-Entwickler bereits seit 1969 nicht auf eine mechanische, sondern eine elektrische Übertragung der Blendenwerte über drei vergoldete Kontaktstifte an den Objektiven an ebenfalls vergoldete Leiterbahnen selber Zahl am Objektiv-Anschluss - damals war es selbstverständlich das M42-Gewinde - der Kamera. Das erste Serien-Modell, das mit dieser Erfindung der Pentacon-Ingenieure Hubertus Reimann und Siegfried Schütze ausgestattet war, war die Praktica LLC. Gleichzeitig gebührt ihr die Ehre, die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera der Welt gewesen zu sein, die diese Form der Blendenwert-Übertragung bot. Der Vorteil dieser Technik erweist sich vor allem beim Photographieren im Makrobereich mit auszugsverlängerndem Zubehör, denn damit ist das Scharfstellen bei Offenblende und hellstem Sucherbild sowie – ganz entscheidend - die TTL-Belichtungsmessung weiterhin möglich. Pentacon schaffte es aber zunächst nicht, auch noch ein Balgengerät mit dieser Funktion für die Schraubgewinde-Prakticas zur Serien-Reife zu bringen. Es blieb dem B-System vorbehalten, um eine solches Automatik-Balgengerät bereichert zu werden. Wenn Sie bedenken, dass es Nikon bis heute nicht geschafft hat, ein solches Balgengerät anzubieten, sollten Sie die Leistungen der DDR-Ingenieure mit einem anerkennenden Kopfnicken kommentieren. Mit dem Zubehör zur Praktica B werde ich mich noch ausführlich befassen, jetzt widme ich mich erst Mal dem Elektronik-System der B-Kameras.

Die B 200 war ein Zeitautomat, gestattete also das automatische Photographieren mit Blendenvorwahl und stufenloser Verschlusszeiten-Einstellung, was allerdings im Jahre 1979 keine Sensation mehr war. Auch wenn der VEB Pentacon Dresden für das System der elektrischen Blendenwert-Übertragung die „Weltpriorität“ (Werner Wurst im „Fotobuch für alle“, siehe Abschnitt „Literatur-Tipps“) hatte, so waren die Japaner ab 1970 am DDR-Kombinat vorbeigezogen und hatten einen uneinholbaren technischen Vorsprung. Schon die Praktica EE 2, ebenfalls ein Zeitautomat mit Schraubgewinde-Anschluss, war spät, 1977, erschienen – sechs Jahre nach der Pentax ES von Asahi, dem ersten Zeitautomaten überhaupt. Bei der EE 2 und ihrer Nachfolgerin, der EE 3, musste Pentacon noch die inzwischen betagte Technik der LLC verwenden und modifizieren. Da es Ende der 1970er-Jahre der Mikroelektronik-Industrie der DDR nicht möglich war, ein Elektroniksystem auf flexibler Leiterplatte bereitzustellen, befanden sich die elektronischen Bauelemente der EE 2 teilweise auf zwei starren Leiterplatten, wichtige Funktionselemente waren deswegen in klassischer Verdrahtung miteinander verbunden. Im Falle der B 200 verbot die Kompaktbauweise eine entsprechende Konstruktion, weswegen Pentacon gezwungen war, für das Elektroniksystem der Kamera mit dem japanischen Elektronikspezialisten NEC zu kooperieren. Die Fertigung der B 200-Elektronik erfolgte in Tokio und NEC lieferte die Bauteile mit Beginn der Produktion. Dieser Import war , einmal mehr auch wegen fehlender Devisenmittel, von vornherein befristet und musste nach einer Ablösekonzeption durch eine Eigenentwicklung ersetzt werden. Das gelang bereits 1981 mit den Modellen B 100 und BC 1. Eine beeindruckende Leistung, denn es mussten damals erst die Produktionsstätten und -Kapazitäten für die Bauteile geschaffen werden. Die flexiblen Leiterplatten mussten aber weiterhin importiert werden. Erst das letzte B-Modell vor der Pentacon-Liquidierung, die BX 20 konnte komplett selbstständig produziert werden.

Ebenfalls bemerkenswert ist der Stahllamellen-Verschluss der Praktica B-Kameras bis zur BX 20, die einen komplett neu entwickelten Verschluss spendiert bekam. Der erste B-Verschluss war eine eigenwillige Überarbeitung der vorhandenen Verschlüsse der L-Reihe. Die L-Verschlüsse konnten nicht einfach übernommen werden, da sie nicht in die kleinen Gehäuse der B-Prakticas passten. Die Entwicklung eines passgenauen Verschlusses war nicht rechtzeitig in Angriff genommen worden, der Import eines passenden Verschlusses von Copal kam einmal mehr aus Geld-/Devisenmangel nicht in Frage. Die Ingenieure schafften es, das Prinzip des L-Verschlusses weiterzuverwenden, die Lamellen legten jedoch einen anderen, umgekehrten Weg durch den Okularstrahlengang zurück, was sich nicht nur kompliziert anhört, sondern in der Tat so ist. Diese umständliche Lösung ermöglichte die einigermaßen plangemäße Produktion der B 200 und ist ein Musterbeispiel für das Improvisationstalent der DDR-Ingenieure.

Die B 200 war zu Anfang ein Sorgenkind, denn der wegen massiven Zeitdrucks überhastete Produktionsbeginn sorgte für jede Menge mangelhafte Kameras, die unmöglich in den Binnenhandel gehen, geschweige denn exportiert werden konnten. Die Folge war ein wirtschaftliches Fiasko, denn Ende 1979 musste die angelaufene Produktion komplett gestoppt und ein Neuanlauf 1980 vorgesehen werden. Nach Behebung der Mängel wurden in den Folgejahren dann über 1,1 Millionen B-Kameras produziert. Die acht-millionste Kleinbild-Spiegelreflexkamera in Dresden war ein B-Modell: Die Praktica BCA.


Die Praktica BC 1 und ihr System


Die Praktica BC 1 war die direkte Nachfolgerin der B 200, die gleichwohl bis 1989 in kleineren Stückzahlen weiter produziert wurde. Von der Ausstattung her unterscheiden sich beide Kameras nicht: Im Automatik-Modus arbeiten sie als Zeitautomaten, die Elektronik bildet die Verschlusszeit abhängig von Blendenwert und Belichtungsmessung stufenlos im außergewöhnlich großen Bereich von 1/1000 Sekunde bis zu 40 Sekunden. Damit sind B 200 und BC 1 auch geeignet für automatische Langzeitbelichtungen. Die Belichtungsautomatik mit ihrer mittenbetonten Integralmessung funktioniert sehr gut, zumindest die BC 1 bekam in den 1980er-Jahren auch in der Bundesrepublik, unter anderem von der Stiftung Warentest. stets gute Testnoten. Ich kann nur über meine eigene, 1989 für 499 D-Mark im Set (siehe den Abschnitt „Literaturhinweise“) erworbene BC 1 sprechen: Sie hat bis zum heutigen Tag Diafilme stets zuverlässig belichtet und ist meinen Nikons in dieser Disziplin nie nachgestanden.

BC 1 und B 200 erlauben zudem eine manuelle Korrektur um ± zwei Belichtungszeitstufen, sehr nützlich bei besonders hohen Motivkontrasten ist die Messwertspeicherung mittels der sogenannten Memory-Taste. Wer die manuelle Nachführmessung – Pentacon nannte die seltsamerweise „Teilautomatik“ - bevorzugt, kann feste Verschlusszeiten von 1/1000 bis einer Sekunde vorwählen. Der Abgleich mit dem Messwert des Belichtungsmessers erfolgt über rote Leuchtdioden im Sucher. Auch die festen Verschlusszeiten werden elektronisch gebildet, ohne Strom funktioniert die Kamera dennoch: Die Blitzsynchronzeit von 1/90 Sekunde steht dem Photographen als mechanische Notzeit zur Verfügung. Mehr hatte auch das damalige Nikon Topmodell, die F3, zumindest auf dem Papier, nicht zu bieten. Dass die F3 als modulare Systemkamera für Berufsfotografen konzipiert war und folglich in einer ganz anderen Qualitäts-Liga und dort ganz vorne mitspielte, sei nur rein vorsorglich erwähnt. Nicht dass Sie auf den Gedanken kommen, ich würde ein Araber-Vollblut mit einem knuffeligen Pony vergleichen.


Apropos knuffelig: Im krassen Gegensatz zu den kantigen, immer etwas grobschlächtig wirkenden mechanischen Prakticas der L-Reihe, ist das optische Erscheinungsbild der kleinen B-Kameras sehr gefällig. Diese Kompakt-Spiegelreflexkameras wirken chic, die schwarzen Gehäuse sind zeitlos elegant. Hatte die B 200 noch einen genoppten Kunstlederbezug, bekam die BC-1 eine sehr viel attraktivere Belederung mit strukturiertem Kunstleder, das angenehm weich und griffig ist. Überhaupt sind die B-Kameras, obschon klein dimensioniert, anscheinend wirklich „in die Hände hinein konstruiert“ (Werner Wurst in „Kleiner Ratgeber“). Jedenfalls habe ich, der ich sehr große Hände habe, nie Haltungs-Schwierigkeiten. So ist der Abblendschieber zur Schärfentiefenkontrolle äußerst günstig auf der rechten Seite der Kamera positioniert und lässt sich mühelos mit dem linken Zeigefinger bedienen. Der Abblendhebel der Kompakten von Nikon (FM/FM2, FE/FE2 und FA) erfordert da nach meinen Erfahrungen sehr viel mehr Fingerakrobatik.

Die BC 1 ist, wie alle ihre Geschwister, sehr leicht und bringt gerade mal 530 Gramm ohne Batterie und Objektiv auf die Waage. Zur Stromversorgung benötigt sie ein 6 Volt-Batterie, die im Fach mit seinem etwas hakeligen Geldmünzenverschluss unter dem Objektiv einzusetzen ist. Angeblich – nach gewissen Internet-Experten – seien B 200, BC 1 und ihre Geschwister Stromfresser. Nun, meine BC 1 hat im Laufe ihres bald 26-jährigen-Lebens zwei Lithium-Batterien verbraucht. Wenn damit der Beleg für ungezügelten Energiehunger erbracht sein sollte, bin ich bereit, jeden selbsternannten Zwischennetz-Experten künftig sehr, sehr ernst zu nehmen.

Das geringe Gewicht resultiert auch aus der reichlichen Verwendung von Kunststoff. Ein großer Teil des Gehäuses besteht aus im Spritzverfahren hergestellten ABS-Materialen, also auch Kunststoff beziehungsweise, um einen DDR-Ausdruck zu gebrauchen „Plastwerkstoffen“. Die Verwendung von Kunststoff für „Kamera-Dekorativteile“ wie die Deckkappe hatte eine vergleichsweise lange Tradition bei Pentacon und wurde 1970 für die mechanischen Kameras der L-Reihe eingeführt. Bevor Sie jetzt ein langes Gesicht ziehen: Auch die überaus erfolgreiche AE-1 von Canon aus dem Jahr 1976 hatte ein Gehäuse mit Bauteilen aus ABS-Kunststoff, was mit ein Grund war, dass diese Kamera vergleichsweise günstig angeboten werden konnte. Nikon setzte bei der eigenen F-Kompaktreihe zwar weiterhin auf Vollmetall-Gehäuse, verwendete aber bei seinen „Volks-Nikons“ (Peter Braczko in „Nikon-Faszination“) EM, FG und FG-20 ebenfalls vermehrt Kunststoff. Der VEB Pentacon Dresden war also mit seinen Plastwerkstoffen durchaus auf „Weltniveau“ - zumal die Fertigkeit des Herstellers beim Verchromen der Plastteile allgemeine, sprich weltweite Anerkennung fand. Dass die schweren Messing-Aluminiumgehäuse von professionellen Spiegelreflexkameras wie der Nikon F2 oder der Canon F1 letztlich härter im Nehmen waren, spielte für die Mehrheit der Anwender – Berufs-Photographen eingeschlossen – nur eine untergeordnete Rolle: Einsätze in den Tropen, am Polarkreis oder in den großen Wüsten der Erde hatte die Mehrheit dieser Kameras bestimmt nicht. Meine BC 1 hatte auch einige Auslandsreisen erlebt und Flugsand, mehrere Regengüsse und zwei Stürze unbeschadet überstanden. Das Gehäuse zeigt kaum Gebrauchsspuren, obwohl der Schnellschalthebel und die Rückspulkurbel meiner Kamera ebenfalls aus Kunststoff sind – bei der B 200 und den frühen BC 1-Modellen war die Kurbel noch aus Metall - haben beide all die Jahre tadellos ihren Dienst versehen. Damit hat zumindest meine Praktica BC 1 ihre Langzeitstabilität unter Beweis gestellt.


Mit den B-Kameras musste Pentacon zwangsläufig auch ein ganz neues System entwickeln und herstellen. Dazu gehörten neue Objektive mit Praktica B-Bajonett, die vom VEB Carl Zeiss Jena und dem VEB Feinoptisches Werk Görlitz hergestellt wurden. Diese Objektive verdienen ein eigenes Kapitel, weswegen ich mich im zweiten Teil der Praktica B-Geschichte ausführlich mit den Wechselobjektiven des B-Systems befassen werde.

Erstmals seit der Profi-Spiegelreflexkamera Pentacon Super von 1968 – die Antwort der DDR auf die Nikon F – gab es mit den B-Prakticas wieder Spiegelreflexkameras mit Anschlussmöglichkeit für einen elektrischen Motoraufzug. Dieser Praktica B-Winder war allerdings im Heimatland von B 200 und BC 1 so gut wie gar nicht erhältlich, denn er wurde für Pentacon in Japan ausschließlich für Westexportmärkte hergestellt. DDR-Bürger hatten lediglich die Möglichkeit, den B-Winder in den Intershops gegen harte D-Mark zu kaufen. Erst für die BX 20 gab es einen Winder aus DDR-Produktion, der zwar ebenfalls vergleichsweise selten blieb, aber zumindest theoretisch auch in den DDR-Fotogeschäften zu erwerben war. Der Praktica B-Winder aus Fernost kostete seinerzeit in der Bundesrepublik rund 80 D-Mark und war somit erschwinglich – auch für einen photobegeisteren Studenten wie mich. Er erfüllt dank einer Frequenz von maximal 2 Bildern pro Sekunde so eben den Wunsch „passionierter Tempofotografen“ (Werner Wurst im Praktica B-Büchlein, siehe “Literaturhinweise“), die allerdings weder schüchtern noch geräuschempfindlich sein dürfen: Dieser Winder transportiert den Film mit lautem, hässlichen Gejaule und der Photograph darf sich der allgemeinen Aufmerksamkeit sicher sein, sollte er auch in einigermaßen beruhigter Umgebung den motorischen Filmtransport bevorzugen. Praktisch ist der lärmende Praktica B-Winder – oder „Model B-1000 Auto Power Winder“ wie er im englischsprachigen Faltblatt meines Exemplars heißt - dagegen bei der Makro-Photographie: Die BC 1 bleibt, anders als beim manuellen Filmtransport, in der sorgfältig ermittelten Position. Angeblich können die alten B-Winder wegen ungenügender Anpassung an die Kameras den Verschluss beschädigen. Das möchte ich nicht ausschließen und kann dazu nur sagen, dass meine BC 1 bis heute problemlos mit dem Winder zusammenarbeitet. Selbstverständlich nicht regelmäßig, denn ich möchte meine sowie die Nerven und Ohren Dritter schonen.


Damit möchte ich Teil 1 meiner Praktica B-Erfahrungen beenden. In Teil 2 werden Sie viel über die Wechselobjektive und das Nahaufnahme-Zubehör des Praktica B-Systems erfahren. Seien Sie gespannt.

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