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Aktuelles

Treue Weggefährtin: Praktica BC 1 (Teil 2)


Im zweiten Teil über die Praktica BC 1 des VEB Pentacon Dresden geht es um das Praktica B-System, namentlich die von 1979 bis 1990 in der DDR produzierten Objektive.


Die Objektive des Praktica B-Systems: Erste Generation


Zusammen mit dem ersten Praktica B-Modell, der B 200 (siehe dazu den vorherigen Blog-Beitrag), präsentierte der VEB Pentacon Dresden im Erscheinungsjahr 1979 auch eine Kollektion von insgesamt neun Objektiven. Alle waren mit dem Praktica B-Bajonett und den charakteristischen drei vergoldeten Kontakten für die elektrische Blendenwert-Übertragung ausgestattet. Die Objektive bekamen den Namen „Prakticar“ und wurden von den Kombinaten VEB Feinoptisches Werk Görlitz und VEB Carl Zeiss Jena gefertigt und geliefert. Folgende Prakticare listete der Praktica-Prospekt von 1979 auf:


- Weitwinkelobjektive

Prakticar 2,8/20

Prakticar 2,8/28

Prakticar 2,4/35

- Standardobjektive

Prakticar 1,8/50

Prakticar 1,8/50


- Teleobjektive

Prakticar 2,8/135

Prakticar 2,8/200

Prakticar 4/200

Prakticar 4/300


Ungewöhnlich sind die beiden hinsichtlich Brennweite und Lichtstärke gleichen Standardobjektive, beide Prakticar 1,8/50 genannt, die sich ausweislich des Werbeprospektes geringfügig unterscheiden: Beide haben einen optischen Aufbau von sechs Linsen, einmal in vier, das andere mal in fünf Gruppen. Des Rätsels Lösung: Bei dem 6/4-Prakticar handelt es sich um das berühmte Pancolar von Carl Zeiss Jena, eine DDR-Weiterentwicklung des Planar-Designs von Zeiss. Das Pancolar genießt heute einen gewissen Kultstatus, da es in der optisch gleichen M42-Gewinde-Ausführung von experimentierfreudigen Photographen gerne an Digitalkameras, beispielsweise Canon EOS D-Kameras oder Micro Four Thirds-Modelle adaptiert wird. Auf dem Titelbild zu diesem Artikel ist ein Pancolar aus den 1970er-Jahren mit M42-Schraubgewinde-Anschluss zu sehen. Das zweite 50er-Prakticar kommt dagegen vom VEB Feinoptisches Werk Görlitz, trug für die Praktica L-Reihe den Namen Pentacon oder Pentacon Auto und war das Standardobjektiv schlechthin für Praktica-Kameras. Es gilt gemeinhin dem Pancolar in der optischen Leistung als unterlegen. Diese überwiegende Meinung beruht sicherlich auf der hohen Reputation der optischen Systeme von Carl Zeiss Jena. So wurden die Jena-Objektive zur DDR-Mittelformatkamera Pentacon Six in einem erinnerungswürdigen Vergleichstest der Zeitschrift „Color Foto“ in den frühen 1980er-Jahren als den Zeiss-Objektiven der Hasselblad fast ebenbürtig bewertet. Dass an der Pentacon Six kein gutes Haar gelassen wurde – Zitat: ...schade, dass es für die guten Jena-Objektive keine vernünftige Kamera gibt.“ - sei ergänzend bemerkt.

Aber um die 6x6 aus der DDR, die ihrerseits einen ausführlichen Artikel wert wäre, soll es hier nicht gehen. Konzentrieren wir uns wieder auf die beiden Standard-Prakticare. Die Mindesteinstelldistanz beträgt 33 beziehungsweise 35 Zentimeter. Womit wir schon einer ersten Besonderheit der Praktica-Objektive begegnet sind: Diese KB-Spiegelreflexobjektive haben einen außergewöhnlich langen Schneckengang und erlauben bereits ohne auszugsverlängerndes Zubehör Nahaufnahmen. In der Regel haben Standardobjektive eine kürzeste Einstellentfernung von etwa 50 Zentimetern, mit dem Normalobjektiv zur Praktica konnte der Photograph also vergleichsweise näher ans Motiv. Sie sollten aber bedenken, dass es sich nicht um für den Nahbereich gerechnete und optimierte Objektive, anders als beispielsweise die exzellenten Micro-Nikkore von Nikon, handelt. Das macht sich glücklicherweise nur bei Reproduktionen bemerkbar, weswegen die Erforschung des Nahbereichs mit den Standardobjektiven zur Praktica, eventuellen ergänzt um Zwischenringe, durchaus lohnend und Spaß bringend sein kann.


Die DDR hielt große Stücke auf ihre optische Industrie und bewarb vor allem die Produkte des VEB Carl Zeiss Jena stets sehr fleißig im Inland wie im Ausland. Dazu gehörte auch, dass die Objektive die klangvollen Zeiss-Namen wie „Tessar“ oder „Sonnar“, die Meilensteine der Zeiss-Optikentwicklungen vor 1945 waren, trugen. Allerdings gab es als Folge der deutschen Teilung nach Ende des Zweiten Weltkriegs zwei Zeiss-Unternehmen auf deutschem Boden: Das ehemalige Zeiss-Stiftungsunternehmen Carl Zeiss Jena, das 1948 mit dem Jenaer Glaswerk „Schott & Genossen“ in volkseigene Betriebe, sogenannte VEBs, überführt worden war und das Zeiss-Opton Optische Werke GmbH in Oberkochen. Es entwickelte sich bereits Ende der 1940er Jahre ein von beiden Seiten geführter Rechtsstreit um die Nutzung des Zeiss-Warenzeichens und der Namen der optischen Systeme von Zeiss. Dieser Streit zog sich – kaum zu glauben – über mehr als 20 Jahre hin und fand erst 1971 mit der Unterzeichnung des „Londoner Abkommens“ ein Ende. Ohne an dieser Stelle ins Detail gehen zu wollen: Der VEB Carl Zeiss Jena musste seine Produkte für den Exportmarkt in einigen Ländern – wohlgemerkt nicht überall auf der Welt – mit „aus Jena DDR“ bezeichnen, unter anderem in der Bundesrepublik Deutschland. Mit dem Mauerfall waren Objektive aus Jena mit der Gravur „Carl Zeiss Jena DDR“ auch hierzulande erstmals im Handel, genauer gesagt in den Second Hand-Vitrinen der Fotohändler zu finden Das auf dem Aufmacherfoto zu sehende Carl Zeiss Jena Macro-Prakticar, das ich noch ausführlich würdigen werde, erwarb ich 1990 in Mannheim bei meinem Fotohändler. Obwohl es sich um die gleichen Objektive handelt, sind die Typen mit Zeiss-Gravur bei Sammlern gefragter als die „aus Jena“-Varianten Den „Prakticer“ interessiert das selbstverständlich nicht.

Jedenfalls waren Objektive von Carl Zeiss Jena bis zum Erscheinen des Praktica B-System immer besonders gekennzeichnet und trugen die in Kennerohren wohlklingenden Namen „Tessar“, „Sonnar“, „Pancolar“ oder „Flektogon“. Da überrascht es, dass bei den Prakticaren hierauf verzichtet worden war. Lediglich die Gravur „Carl Zeiss Jena“ oder „aus Jena DDR“ ist zu finden. Den Grund hierfür habe ich in der Literatur nicht ausfindig machen können: Dr. Gerhard Jehmlich äußert sich in seinem Standard-Werk „Der VEB Pentacon Dresden“ (siehe Teil 1, Abschnitt „Literaturhinweise“) ohnehin kaum zu den Objektiven, was womöglich am herauslesbaren Groll des früheren Pentacon-Forschungsleiters gegenüber den Verantwortlichen des VEB Carl Zeiss Jena begründet sein könnte. Auch der Alt-Zeissianer Klaus Mütze hat in seinem umfangreichen zweibändigen Werk „Die Macht der Optik“ (Quartus Verlag, 2009, ISBN 978-3-936455-78-6) zu diesem Fall nichts zu sagen. Sein Buch ist ohnehin mit Vorsicht zu genießen, da es trotz wissenschaftlichen Eigenanspruchs nicht viel von Objektivität hält, Quellen oft sehr eigenwillig interpretiert, unübersichtlich gegliedert ist und der Autor überdies der DDR in allen Kapiteln dicke Krokodilstränen nachweint. Wertlos ist Mützes Werk gleichwohl nicht – Sie sollten es nur aus kritischer Distanz heraus lesen und manches hinterfragen.

Laut Mütze handelt es sich bei den Prakticaren 2,8/20mm und 2,4/35mm um Carl Zeiss Jena-Objektive des Typs „Flektogon“, als solche Weitwinkel-Objektive mit verlängerter Schnittweite, die noch vor den vergleichbaren Distagon-Typen von Zeiss Oberkochen entwickelt worden waren. Es handelt sich also wie bei den Pancolaren um eine Eigenentwicklung des VEB Carl Zeiss Jena, wobei das Flektogon-Grunddesign zahlreiche internationale Nachahmer fand – ein Beleg für die Kompetenz der optischen Industrie der DDR. Das 35er war in der Geschwister-Ausführung als electric MC Flektogon mit Praktica-Schraubfassung M 42x1 ganz offiziell als „Weitwinkel-Makroobjektiv“ konzipiert und auch als solches in den Katalogen beworben. Es gab sogar in den 1970er und 1980er-Jahren eine OEM-Ausführung für die Eigenmarke der Handelskette „Foto Porst“ mit proprietärem Porst-Bajonett. Ein solches Objektiv fand ich vor zwei Jahren bei einem Fotohändler mit großem Gebrauchtsortiment: Das Objektiv war mit „Porst Macro Objektiv“ graviert. Da es keine Adapter für diesen inzwischen ausgestorbenen Anschluss gibt, habe ich vom Kauf abgesehen – obwohl das Objektiv in sehr gutem Zustand war und der Kaufpreis von 15 Euro wahrscheinlich wenigstens angemessen war. Ich kenne das 35er in beiden Ausführungen aus eigener Praxis nicht. Seine Eignung für den Nahbereich lässt sich aber aus der Mindesteinstelldistanz von 22 Zentimetern vermuten. Im Unterschied zu anderen Prakticaren ist das 2,4/35 vergleichsweise einfach zu bekommen.

Das 2.8/20 Flektogon mit Schraubfassung wurde 1976 auf der Leipziger Messe mit der Goldmedaille ausgezeichnet. Zu recht, denn ein Super-Weitwinkel dieser hohen Lichtstärke war seinerzeit außergewöhnlich. Nikon, in jenen Jahren eigentlich Vorreiter bei der Konstruktion lichtstarker Weitwinkel-Objektive, brachte sein Nikkor 2.8/20mm AiS erst 1984 raus. Dafür ist das Nikkor als 12-Linser mit Close Range Correction ungleich aufwändiger konstruiert als der 9-Linser aus Jena und galt lange als eines der besten 20er seiner Art. Das Flektogon ist dennoch ein sehr gutes Objektiv, das in seiner letzten Überarbeitung als Prakticar neue Gläser bekam und bei einem Test im „Fotomagazin“ im Jahr 1990 ordentlich abschnitt – bei der ehrfurchtgebietenden Konkurrenz aus den Häusern Leitz/Leica, Nikon und Zeiss Oberkochen dieses Vergleichstests ein achtbarer Erfolg. Ich hatte das 20er selbst nur kurze Zeit, bedauere aber bis heute, dass ich es verkaufte.


Die vier ersten Teleobjektive zur B 200 kamen zu gleichen Teilen vom VEB Feinoptisches Werk Görlitz und vom VEB Carl Zeiss Jena. Das Prakticar 2,8/135 kam aus Görlitz und war das meistverkaufte Teleobjektiv zur Praktica überhaupt. Es gehörte zu den Praktica B-Sets, welche der Pentacon-Vertrieb in der Bundesrepublik Beroflex für den Handel packte, weswegen es folgerichtig auch im NSW (Nichtsozialistischer Wirtschaftsraum) sehr häufig anzutreffen war. Da auch ich zu den Erwerbern eines Praktica BC 1-Sets gehöre, habe ich das 2,8/135 selbstverständlich auch und kenne es sehr gut. Es ist ein ordentliches Objektiv, das auf Film gute, wenngleich keine sehr gute optische Leistung offenbarte. Es ist bei Offenblende scharf, aber kontrastarm, weswegen die Bilder etwas flau wirken. Abgeblendet ist es aber gut. Ich habe es ein einziges Mal an einer Olympus OM-D E-M5 ausprobiert – und war entsetzt: Die Testaufnahmen hatten ausgeprägte Farbsäume und waren stark weichgezeichnet. Als Effekt vielleicht interessant, für mich aber unbrauchbar. Gegen ein Nikkor 2.8/135, gleich aus welchem Jahrgang, macht das Görlitz-135er keinen Stich. Das Prakticar 4/200 ist ebenfalls vom VEB Feinoptisches Werk Görlitz und mir gänzlich unbekannt. Es ist in dem Pentacon-Büchlein „Kleiner Ratgeber Praktica BC 1 / B 100“ (siehe Teil 1, „Literaturhinweise“) schon nicht mehr gelistet und war nur wenige Jahre im Angebot.

Das gilt auch für das Prakticar 2,8/200 vom VEB Carl Zeiss Jena, ein Objektiv des Typs „Sonnar“. In der Praktica-B Ausführung – es gab noch eine Variante für die Praktica L-Serie – konnte Carl Zeiss Jena Baugröße und Masse an die kompakten B-Gehäuse anpassen, ohne dass die optischen Parameter geändert werden mussten. Dieses Objektiv ist ultrarar, so rar wie Mondstaub auf Erden. Ich kenne nur einige Erfahrungsberichte aus dem Internet, die im Tonfall eher reserviert sind – vermutlich macht sich bei diesem Objektiv das sekundäre Spektrum in Form von chromatischen Aberrationen an Digital-Kameras besonders bemerkbar. Carl Zeiss Jena war übrigens durchaus in der Lage, apochromatisch korrigierte Objektive herzustellen. Allerdings sei das Interesse der Kombinatsleitung, so zumindest Gerhard Jehmlich (aaO), für Fotoobjektive zu den Prakticas eher gering gewesen, weswegen sich die technischen Innovationen ab den 1980er-Jahren in engen Grenzen gehalten haben sollen. Ein apochromatisch korrigiertes, sehr lichtstarkes Teleobjektiv hätte das B-System sicher geschmückt, wenngleich ein solches Objektiv in der DDR und in den Exportländern alles andere als billig gewesen wäre – und damit den typischen Praktica-Käufer, der vom hervorragenden Preis-Leistungsverhältnis der DDR-Fotoprodukte ausging, im NSW kaum angesprochen haben dürfte.

Ebenfalls ein Sonnar aus Jena ist auch das Prakticar 4/300, das hin und wieder gebraucht zu finden ist. Obwohl es bis zuletzt gelistet in den Katalogen gelistet war, wurde es nur in verhältnismäßig kleinen Stückzahlen gebaut. Die Praktica-Händler im Westen hatten es nie auf Lager, es musste auf Kundenwunsch bestellt werden. Die Lieferzeit betrug sechs Wochen bis drei Monate. Ich liebäugelte selbst eine zeitlang mit dem 300er von Carl Zeiss Jena, verwarf die Anschaffung dann zugunsten des formidablen – und lieferbaren – Nikkor 2.8/180mm ED AiS, das mich bis heute begleitet (siehe näher den Blog-Beitrag „Nikkor-Faszination).


Die Objektive des Praktica B-Systems: Zweite Generation


Zur Leipziger Frühjahrsmesse 1984 präsentierte der VEB Pentacon Dresden ein überarbeitetes Objektive-Programm mit einigen Neuzugängen sowie wenigen Abgängen zu den Praktica B-Kameras. Folgende Objektive waren jetzt offiziell im Angebot:


- Weitwinkelobjektive

Prakticar 2,8/20

Prakticar 2,8/28

Prakticar 2,4/35


-Standardobjektive

Prakticar 1,4/50

Prakticar 1,8/50

Prakticar 2,4/50


-Teleobjektive

Prakticar 1,8/80

Prakticar 2,8/135

Prakticar 3,5/135

Prakticar 4/300

Prakticar 5,6/500

Prakticar 5,6/1000


-Spezialobjektive

Macro-Prakticar 2,8/55


Das Weitwinkel-Objektiv 2,8/28mm ist ein Prakticar der ersten Stunde, deswegen schon in der ersten Übersicht zu finden, und wurde vom VEB Feinoptisches Werk Görlitz geliefert. Es entspricht weitgehend dem Schraubgewinde-Objektiv Pentacon auto 2,8/29, obwohl dieses Objektiv bei ansonsten gleichen technischen Daten eine geringfügig längere Brennweite hat. Als Praktica B-Objektiv gehörte es neben dem 1,8/50 und dem 2,8/135 zur Standardausrüstung. Es war Teil der schon mehrfach erwähnten Praktica B-Sets für den NSW. Im Laufe der Jahre wurden die Fassungen der Görlitz-Prakticare überarbeitet: Abgesehen vom Metallbajonett bestand die Fassung aus Gründen der kosteneffizienten Herstellung zuletzt größtenteils aus Plastwerkstoffen. Optisch blieben die Volkswagen-Prakticare hingegen unverändert. Das 28er ist ein passables Weitwinkel, mit etwas zu ausgeprägter tonnenförmiger Verzeichung bei guter Schärfe und Brillanz in der Bildmitte. Der Randabfall ist vergleichsweise stark, ab Blende 8 aber auch für besonders kritische Kornzähler-Augen tolerabel.

Ich habe sogar zwei 28er für die Praktica BC 1: Eines, wie das eben beschriebene, das ich gebracht für 30 D-Mark kaufte sowie mein originales BC 1-Set-Objektiv. Dieses stammt aber nicht aus DDR-Produktion, sondern aus Japan. Es hat eine stabile Metallfassung mit seidenweich laufendem Schneckengang und ist optisch richtig gut. In puncto Schärfe und Brillanz kann es mit dem Nikkor 2.8/28mm AiS mithalten, lediglich die tonnenförmige Verzeichnung ist im Fernbereich ausgeprägter. Allerdings ist das Nikkor insoweit vorbildlich, sprich praktisch verzeichnungsfrei. Dank der Mindesteinstelldistanz von 22 Zentimetern lässt sich das Prakticar wie sein japanisches Gegenstück sehr gewinnbringend auch im Nahbereich einsetzen, wo es interessanterweise geringer als das Nikkor verzeichnet.

Wie kommt es zu einem Pentacon-Objektiv aus japanischer Produktion? Die Kooperation mit japanischen Betrieben betraf in den frühen Jahren des Praktica B-Systems neben der Bereitstellung der Elektronik der B 200 (siehe hierzu Teil 1) auch die Herstellung von Objektiven mit B-Bajonett und elektrischer Blendenwert-Übertragung. Diese Objektive wurden von Sigma, Tamron und Cosina, alle drei noch heute bestens bekannt als sogenannte Fremdobjektiv-Hersteller für die gängigen Kamera-Systeme, hergestellt. Diese Hersteller lieferten in erster Linie Zoom-Objektive für die Exportländer, welche in der DDR zunächst nicht gefertigt werden konnten. Aus gutem Grund, denn der durchschnittliche Praktica B-Kunde im Westen war der preisbewusste Amateur, der Wert auf eine vielseitige, nicht zu üppige Ausrüstung legte. Er setzte deswegen auf – meistens zwei - Zoom-Objektive anstelle der von Profis zumindest in den 1980er und frühen 1990er-Jahren noch bevorzugten Festbrennweiten. Anscheinend halfen die Japaner aber auch bei den Festbrennweiten aus – mein 28er, das wegen Machart und Formgebung der Fassung auf Sigma als Hersteller schließen lässt, legt diese Vermutung nahe.


Ganz neu und dem internationalen Trend folgend war 1984 das Prakticar 1,4/50, das Carl Zeiss Jena lieferte. Wie alle Zeiss-Prakticare hat es eine solide Metallfassung und auch wenn Klaus Mütze in seinem Buch „Die Macht der Optik“ behauptet, dass seine optischen und mechanischen Eigenschaften dieses hochlichtstarke Objektiv „international immer mehr zum Standardobjektiv werden“ ließen, ist genau das zu bezweifeln. Das 1,4/50 gehört nämlich einmal mehr zu den seltenen Prakticaren, weswegen es heute auch gebraucht, Bestzustand vorausgesetzt, selten unter 200 € zu bekommen ist. Über seine optische Leistung kann ich nichts sagen, denn ich hatte das Objektiv nie und war auch eher desinteressiert. Historisch gesehen ist dieses Standardobjektiv insoweit bemerkenswert, als dass es nach dem Pancoloar 1,4/55 zur Profi-Systemkamera Pentacon Super aus den späten 1960er-Jahren das einzige DDR-Objektiv dieser Lichtstärke war und geblieben ist. Auch das Prakticar ist ein modifizierter Pancolar-Typ in siebenlinsiger Konstruktion. Die ersten Typen – vermutlich handelt es sich eher um Prototypen - hatten noch Lanthan-Schwerkrone und -Flinte. Diese hochwertigen, aber teuren Gläser waren ab 1984 bereits durch kostengünstigere „und technologisch besser beherrschte Gläser“ (Klaus Mütze, aaO) ersetzt. Hervorzuheben ist die sehr geringe Mindesteinstelldistanz von nur 36 Zentimetern, was das Objektiv theoretisch auch tauglich für Nahaufnahmen macht.

Das Prakticar 2,4/50 wurde zwar gegen Ende der DDR mit der Gravur „Carl Zeiss Jena DDR/aus Jena DDR“ verkaufsfördernd aufgewertet, kam aber über seine ganze Produktionszeit vom VEB Feinoptisches Werk Görlitz. Heute würde dieses mäßig lichtstarke Objektiv als „Pancake“ bezeichnet werden. Mit einer Baulänge von nur 24 Millimetern trägt es nur wenig auf – ideal für Praktica B-Nutzer, die Wert auf eine ultrakompakte Grundausrüstung legen. Optisch ist der Fünflinser auf dem Niveau des Prakticar 1,8/50, also recht gut. Es hat ebenfalls die etwas billig wirkende Kunststoff-Fassung der späten Görlitz-Prakticare, ist dafür aber auch für wenig Geld, das heißt maximal 30 €, zu bekommen.


Im Telebereich bot Pentacon jetzt das Porträt-Objektiv/Kurztele Prakticar 1,8/80 an, das ebenfalls von Carl Zeiss Jena kam. Dieses Objektiv gehört auch heute noch zu den gefragtesten Prakticaren, was in Gebrauchtmarkt-Preisen von bis zu 400 € resultiert. Seine Optik ist von dem sehr guten Pancolar auto 1,8/80, das ich selbst eine Zeitlang kennen und schätzen lernen durfte, abgeleitet. Das Prakticar lässt sich aber bis 65 Zentimeter einstellen und ist deutlich kompakter. Es gibt im Zwischennetz einige begeisterte Lobeshymnen von Canon-Fotografen, die das 80er für das EF-Bajonett umbauten und nutzen. Nach den Beispielbildern zu urteilen, scheint dieses Objektiv seinen hohen Preis wert zu sein. Das wundert mich nicht, denn aufgrund meiner eigenen positiven Erfahrungen mit dem Pancolar 1,8/80 an der Olympus OM-D E-M5 weiß ich, dass Carl Zeiss Jena mit diesen Porträt-Teles optische Meisterstücke geschaffen hatte.

Das Prakticar 3,5/135 ist das altbekannte Carl Zeiss Jena Sonnar, das es in verschiedenen Ausführungen für die Exakta und die Praktica seit den 1950er- beziehungsweise 1960er-Jahren gab. Obwohl etwas lichtschwächer als das 2,8/135 übertrifft es in seiner optischen Leistung das Görlitz-Objektiv (siehe den vorherigen Abschnitt) augenfällig. Ich selbst habe ein 3,5/135 für das M42x1-Schraubgewinde aus den frühen 1970er-Jahren – noch mit einfacher Vergütung, die Prakticare sind sämtlich „M(ulti) C(oated)“/mehrschicht vergütete Objektive. Auch mein Sonnar, das mich übrigens lächerliche 40 € kostete, durchlief einen Praxistest an der Olympus OM-D E-M5 und bestand diesen mit Bravour. Deswegen gehe ich davon aus, dass das Prakticar 3,5/135 mindestens ebenbürtig, wegen der vorteilhaften Mehrschicht-Vergütung wahrscheinlich sogar überlegen sein dürfte. Das Objektiv ist gut verbreitet und daher günstig zu bekommen. Mehr als knapp 100 € würde ich aber nicht ausgeben, eher weniger.


Kommen wir jetzt zu den beiden langen Tüten, dem Prakticar 5,6/500 und dem Prakticar 5,6/1000. Beide Objektive sind echte Klassiker der DDR-Produktion und keine originären Kleinbildobjektive. Tatsächlich waren sie ursprünglich für die Mittelformat-Kamera Praktisix, die Vorgängerin der Pentacon Six, schon in den 1950er-Jahren entwickelt worden. Deswegen lieferte der VEB Pentacon Dresden beide Objektive stets mit Adapter – die Praktisix/Pentacon Six hat ein eigenes Bajonett - zur Anpassung an die Kleinbildkameras. Das 500er wurde vom VEB Feinoptisches Werk Görlitz hergestellt, hat keine Springblende, einen gewaltigen Filterdurchmesser von 118 Millimetern und ist mit 3500 Gramm ein Schwergewicht, das ohne Stativ kaum beherrschbar sein dürfte. Seine optische Leistung ist ausweislich einiger mir bekannter Beispielaufnahmen, die mit der Pentacon Six gemacht wurden, überdurchschnittlich gut. Es wird – selbstverständlich gebraucht – in Topzustand mit rund 600 € gehandelt. Da es für dieses Objektiv vergleichsweise viele Adapter, unter anderem auch von Novoflex gibt, kann sich eine Anschaffung lohnen. Mir selbst wäre es aber ganz sicher zu groß und zu schwer.

Über das Gewicht des 5,6/1000 sollte besser nicht gesprochen werden – es bringt 12 Kilogramm auf die Waage, ist zudem etwa 50 Zentimeter lang und damit unmöglich aus der Hand einsetzbar. Hergestellt wurde dieses Spiegellinsen-Objektiv oder katadioptrische System vom VEB Carl Zeiss Jena und war immer das teuerste Fotoobjektiv aus DDR-Produktion: Im Westen waren für das 1000er rund 12.000 D-Mark, in den letzten Tagen der DDR sogar über 13.000 D-Mark zu bezahlen. Wie alle Spiegellinsen-Objektive hat es eine feste Blende und weist konstruktionsbedingt keine Farbquer- und Farblängsfehler – die schärfemindernden chromatischen Aberrationen - auf. Das 5,6/1000 wurde übrigens eine besondere Ehre zuteil: Der weltberühmte Zoologe und Tierfilmer Prof. Dr. Bernhard Grzimek verwendete dieses Objektiv neben dem 5,6/500 an seiner Praktisix und machte mit dieser Ausrüstung zahlreiche Aufnahmen bei den Dreharbeiten zu dem Oscar-prämierten Dokumentarfilm „Serengeti darf nicht sterben“ sowie für die mit Sohn Michael betriebene Bildagentur Okapia. Das 1000er war, schon wegen seines hohen Preises, kein Dauerbrenner, war aber sehr lange in Produktion und findet sich vergleichsweise häufiger als ein Prakticar 2,8/200 auf dem Gebrauchtmarkt. Realistisch sind Preise um die € 3.000. Angesichts der Güte dieser Objektiv-Legende und der mehr als doppelt so hohen Verkaufspreise, die andere Spiegellinsen-Mittelformatobjektive aufrufen, ist das sogar günstig zu nennen.


Mit dem Macro-Prakticar 2,8/55 gab es erstmals ein Spezialobjektiv für Aufnahmen im Nahbereich, das auch entsprechend als solches gekennzeichnet war. Das Macro-Prakticar wurde vom VEB Carl Zeiss Jena hergestellt, es handelt sich wieder einmal um eine Modifikation des bewährten Pancolar-Designs. Ohne auszugsverlängerndes Zubehör lässt es sich bis 25 Zentimeter scharf stellen, wodurch ein Abbildungsmaßstab von 1:2, also der halben Objektgröße, erreicht wird. Das Macro-Prakticar ist ein hervorragendes Objektiv und gehört ohne Zweifel zu den Stars des B-Systems. Ich habe damit in Verbindung mit dem automatischen Balgengerät (mehr dazu im kommenden Teil 3) etliche Produktaufnahmen auf Kodachrome 25 oder Kodak Ektar 25 gemacht. Stets waren Schärfe und Brillanz der Dias und Negative herausragend gut. Ich erwarb das Objektiv 1990 gebraucht für 150 D-Mark und habe den Kauf nie bereut. Allerdings war es bis vor Kurzem länger nicht mehr einsetzbar, da die Blendenlamellen verharzt waren – übrigens ein häufiges Leiden der Prakticare. Mein Carl Zeiss Jena Macro Prakticar wurde vor wenigen Wochen vom Foto-Service Olbrich in Görlitz gründlich und bestens überholt. Die Inhaberin, Feinmechanikermeisterin Andrea Schönfelder ist eine ausgezeichnete Handwerkerin und eine der wenigen Experten in puncto DDR-Objektive. Dass der Spitzenservice der Görlitzer auch noch supergünstig ist, muss besonders betont werden. Wenn Sie also ein altes Pentacon Six-, Exakta- oder Praktica-Objektiv haben sollten, das eine Wartung benötigt, vertrauen Sie es getrost Frau Schönfelder und ihrem Team an.


Die Objektive des Praktica B-Systems: Dritte Generation


Erst sehr spät, 1987, gab es Zoom-Objektive für die Praktica B-Kameras aus DDR-Produktion. Davor kamen die Zoom-Objektive wie im vorstehenden Abschnitt schon ausführlich beschrieben, von japanischen Herstellern und waren in der DDR lediglich in Intershops erhältlich. Diese Zooms wurden 1987 angeboten:


-Vario-Prakticar 2,7-3,5/35-70

-Vario-Prakticar 4/80-200


Es handelt sich also beides mal um vergleichsweise lichtstarke Zoom-Objektive, die zusammen die seinerzeit am häufigsten genutzten Brennweiten-Bereiche abdeckten. Nur ein Jahr später wurden beide Objektive überarbeitet und nannten sich jetzt:


-Vario-Pancolar 2,7-3,5/35-70

-Vario-Sonnar 4/80-200


Selbst habe ich diese Objektive nie in der Hand gehabt, geschweige denn damit photographiert. Klaus Mütze (aaO) schreibt zu den Carl Zeiss Jena-Zooms: „Beide Objektive waren durch hohe optische Leistung und ausgezeichneten Bedienkomfort charakterisiert.“ Ob damit eine objektive Aussage über die tatsächliche Leistung der Zooms gemacht ist, darf bezweifelt werden, denn auf der folgenden Seite unterstreicht der Autor seine Behauptung mit einem Zitat aus der Pentacon-Werbebroschüre. Die Vario-Objektive des Praktica B-Systems werden zwischen 200 und 400 € gehandelt. Ob damit indirekt etwas über die optische Güte ausgesagt ist – darüber wage ich nicht zu spekulieren.


Ein Exot im „internationalen Programm“ ist der Pentacon Zweifach-Telekonverter, der in Japan hergestellt wurde und in der DDR, aber auch in der Bundesrepublik hin und wieder, aber meistens gar nicht auffindbar war. Insoweit weckt das Praktica B-Büchlein „Kleiner Ratgeber Praktica BC 1 / B 100“ Begierden, die sich nicht ganz einfach befriedigen lassen. Ich kaufte meinen, inzwischen ärgerlicherweise verlegten Telekonverter 1989 im Intershop auf der Transitstrecke nach Ost-Berlin für 100 D-Mark. Der Konverter war nicht übel: Zusammen mit dem vorzüglichen Macro-Prakticar 2,8/55 war ein Abbildungsmaßstab von 1:1 erzielbar. Die Kombination war zwar nicht „reprotauglich“, achtbar war die Bildqualität gleichwohl und leistete gute Dienste bei Aufnahmen von Schmuckstücken.



Damit endet Teil 2 meiner Übersicht zur Praktica BC 1 und ihrem System. Im kommenden Teil 3 werde ich mich dann mit dem Nahaufnahme- und Blitz-Zubehör befassen.

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